Una giornata al lago

Ein Arbeitsflug von Meran an den Gardasee, für die Männer der Airway Helicopters alltägliches Geschäft, für mich etwas ganz Besonderes. Ganz vorne, direkt neben dem Piloten, habe ich den Überblick und bin dem Himmel ein Stück näher. Geschützt mit Kopfhörern geht es mit dem Arbeitshelikopter SA 315B LAMA in der „Holzklasse“ sozusagen über Stock und Stein – über das Nonstal und Brentadolomiten in Richtung “Il lago”, den See, wie die Italiener ihren Gardeasee schlicht nennen.

Sonnenschein satt und abwechselnd dicker Schnee oder beginnendes Erwachen der Flora und Fauna, ein Wechselspiel an Eindrücken, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dazwischen die Kommentare des Piloten und der Flughelfer über die Kopfhörer im tiefsten Südtiroler Dialekt, den ich tatsächlich in der Zwischenzeit ganz gut verstehe und auch zu schätzen gelernt habe wegen seiner Vielfalt an Wörtern, die zum einen Teil direkt aus dem Mittelhochdeutschen kommen und zum anderen Teil vom Italienischen geborgt sind, eine charmante Mischung. Übrigens, geflucht wird nur auf Italienisch, hört sich nicht nur besser an, sondern ist auch deutlich wirkungsvoller. Fluchen musste während des Fluges niemand, denn Starpilot Helmut hatte wie immer alles im Griff.

Es sieht so leicht aus, wenn man daneben sitzt, irritierend sind allein die vielen Armaturen. Ist man erst einmal in der Luft, stört auch der Rotorenlärm nicht mehr so sehr, und die unvergleichliche Landschaft, durch die man getragen wird, entschädigt sowieso. Hier glitzert eben noch eine Skipiste oder eine überzuckerte Hochalm, dort im nächsten Moment ein jadegrüner Bergsee. Manchmal schauen sie von hier oben aus wie runde Knöpfe auf einem weißen Hemd. Einzelne Stadel säumen den Weg, alte Burgen ragen wie Adlerhorste in den Himmel, der strahlend alle Vorurteile gegenüber der Alpensüdseite bestätigt. Weich zeichnen sich in der Ferne Dreitausender ab, sanft wie die Hügelketten im Abendlicht der Toscana. Weite Täler zwischen hohen Bergrücken, durch die sich glitzernd die Etsch schlängelt, und Kirchturmspitzen begrüßen das seltsame Flugobjekt. Einsam erscheinen die Wege von hier oben, kaum ein Mensch ist zu sehen. Fast glaubt man die Trentiner Bären brummen zu hören, die nun auch allmählich erwachen und wieder frische Luft schnuppern nach langem Winterschlaf. Freiheit, nicht nur über, sondern auch unter den Wolken – ein Gefühl unendlicher Freiheit stellt sich ein und das Glück, einen solchen Ausblick genießen zu dürfen.

In der Ferne deutet sich zart ein Umriss an, es könnte bereits das „Gardameer“ sein, wie manche Südtiroler den im Sommer tatsächlich blauschimmernden See liebevoll nennen. Was ist das Besondere an diesem ehemaligen Gletschersee? Unter anderem, dass es an seinem Ufer tatsächlich vom Alpinen ins Mediterrane übergeht. Ist man am Nordufer in der schönen Stadt Riva del Garda noch mitten in den Bergen, so kommt man vorbei an alten, äußerst pittoresken Städtchen wie Malcesine am Fuße des Monte Baldo über Torri del Benaco geradezu nach Bardolino, das alle schon wegen seines berühmten Rebensaftes kennen – und ist im Süden.

Wir fliegen an der rechten Uferseite entlang, an Limone vorbei. Eine Ortschaft mit einem solchen Namen kann es nur in Italien geben! Wir landen in einer atemberaubenden Kurve. Eigentlich liebe ich das Achterbahnfahren ja nicht so sehr, aber es ist in wenigen Sekunden geschafft. Nachdem ich mir beim Aussteigen tollpatschig den Nagel eines Fingers zur Hälfte abreiße, sofort notärztlich versorgt werde und mich dann trollen darf – später erlange ich eine gewisse Übung beim Aussteigen und schaffe es auch eleganter aus dem Fluggerät, wobei man mir galanterweise die Hand reicht – fängt die Arbeit für den Piloten und die Flughelfer im Hubschrauber nun erst richtig an. Zuerst werden diese vom Piloten in die Wand (den Felsabhang) geflogen, denn hier entsteht aus einer alten Baumwollfabrik eine Feriensiedlung, die vor Steinschlag geschützt werden muss. Hoch oben sind bereits ein paar wagemutige Kletterer zu sehen, die mit Hilfe von Gitterzäunen das Geröll daran hindern, Touristen hinterrücks zu erschlagen. Danach wird im Heli das Arbeitsgerät mit erstaunlicher Geschicklichkeit nach oben geflogen, eine Rolle nach der anderen wird punktgenau auf Felsen abgeliefert. Ich stehe und staune. Ein eiskalter Wind kommt plötzlich vom See auf und unterbricht die Arbeit, zu gefährlich.

In der Zwischenzeit komme ich zwar noch immer nicht aus dem Staunen heraus, aber ich wandere in das Dörfchen, trinke einen Espresso, schaue mir die Bauarbeiten an und zittere vor Kälte. Wer hätte gedacht, dass es in Meran wärmer sein kann als am Gardameer? Nachdem der Wind sich gelegt und ich mit den Herren in einer kleinen Trattoria einen Teller Nudeln gegessen habe, geht es weiter zum nächsten Einsatz. Wieder wird Arbeitsgerät auf den Berg gebracht, wieder bewundere ich das Geschick des Piloten. Wir rattern nach Hause, fast werde ich ein wenig wehmütig. Am Rande der Brenta Dolomiten, die Etsch im Blickwinkel, dahinter die Dolomiten, über alte Städte wie Rovereto und Trient zu fliegen und die großartige Bergwelt von oben zu betrachten, hinterlässt einen Eindruck, den man als Normalsterblicher gewöhnlich nicht erhält. Ein Lifetime Event eben.

Erschienen in der Südtirolerin und im Kunstportal Ba-Wü