Heimatgeschichten 3 – Heidelberg

Hat es etwas morbides, auf einem Friedhof spazieren zu gehen? Vielleicht. Andererseits besuchen viele Menschen gerne alte Friedhöfe, und zwar nicht nur, wenn dort viele Prominente ihre letzte Ruhe gefunden haben, wie z.B. auf dem Père Lachaise in Paris.

Das Erhabene, die Stille, das Ambiente machen einen Friedhof zu einer erbaulichen Stätte der Ruhe, auch oder gerade für die Besucher. Denn die alten Friedhöfe mit ihren oft uralten Gräbern haben eine ganz eigene, mystische Ausstrahlung als ein schöner Ort, um meditativ zu spazieren, umgeben von Stille, Naturgeräuschen, frischer, sauberer Luft. Ein friedvoller Platz, um auch geschichtsträchtiges zu erkunden.

Auf dem Heidelberg Waldfriedhof ruhen unter anderem Friedrich Ebert, der Reichspräsident der Weimarer Republik, geboren in Heidelberg. Ein Sprung in die Altstadt, nicht sehr weit vom Bergfriedhof entfernt, ist zu empfehlen. Denn dort steht in der Pfaffengasse das ehemalige Wohnhaus der Familie, nun eine interessante Gedenkstätte, ein denkmalgeschütztes Haus, das die Friedrich-Ebert-Stiftung unterhält. Im Zentrum des Hauses eine nur 46 m² große Wohnung, in der der spätere Präsident 1871, fast zeitgleich mit der Gründung des Deutschen Reiches, als siebtes von neun Kindern eines Schneiders wird. Mit seinen Eltern und fünf Geschwistern verbringt er hier Kindheit und Jugend. Die Wohnung, damals auch Arbeitsstätte seines Vaters, kann heute nicht mehr so präsentiert werden, wie sie zu Eberts Zeit gewesen ist. Fotos von Arbeiterwohnungen im Kaiserreich geben jedoch Einblick in das Milieu, in dem auch der Sohn eines kleinen Handwerkers aufwächst.

Relativ einfach erscheint daher auch der Ort, an dem man ihn beerdigt hat, eine kleine Empore mit einen Kreuz, als wache Christus über den demokratischen Gedanken.

Oder die einzigartige Dichterin Hilde Domin, die über fünfzig Jahre bis zu ihrem Tod 2006 in Heidelberg lebte. Auf ihrem sehr schlichten Grab liegt oft eine frische Rose, denn viele gedenken einer der bedeutendsten Lyrikerinnen der Moderne. Aus gut bürgerlichem, jüdischem Haushalt stammend hatte die 1909 geborene Schriftstellerin Privatlektionen, nach denen sie direkt aufs Mädchengymnasium in Geburtsstadt Köln wechselte. Mit Heidelberg kam gleich nach ihrem Abitur in Berührung, denn sie studierte hier Jura. Und die Stadt verlieh ihr zu ihrem 95. Geburtstag 2004 die Ehrenbürgerwürde. Nun ist sie der Stadt für immer verbunden in einer Anlage, die mit ihrem Mann teilt. Ihren Grabspruch hatte sie sogar selbst gewählt: „Wir setzten den Fuß in die Luft / und sie trug“.

Die Grabstätte ist in unmittelbarer Nähe der Ruhestätte des Dichters Friedrich Gundolf gelegen.

Auch der großartige Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler liegt auf dem Bergfriedhof begraben, sowie die Wissenschaftler Carl Bosch und Robert Bunsen. Den einen ehrt das Carl-Bosch Museum im Schloß-Wolfsbrunnenweg in seiner ehemaligen Villa, der anderen findet man kaum. Seine Statue übersieht man leicht, sie schmückte einst einen kleinen Platz vor dem Friedrichsbau in der Altstadt, früher chemisches Institut, heute bevölkern es die Psychologen. Es geht weiter mit dem Astronomen Max Wolf, Homer-Übersetzer Johann Heinrich Voß, dem Geologen Martin Dibelius, Erfinder Felix Wankel, Rechtsphilosoph Gustav Radbruch, und dem Soziologen Max Weber. Welche wichtigen Frauen außer Hilde Domin hier vielleicht zu finden sind, wäre ein schönes Magisterthema.

Sie alle zu besuchen braucht es Zeit, denn der Friedhof ist mit rund fünfzehn Hektar Fläche der größte Friedhof nicht nur in der Stadt, sondern auch in der näheren Umgebung. Anfänglich, Mitte des 19. Jahrhunderts, lag der Gottesacker sogar noch am Fuß eines Weinberges. Doch schon bald wurden aus Platzgründen auch die Terrassen des Hangs des später oberhalb angrenzenden Waldgeländes mit einbezogen.

Stetig erweitert, da die Bevölkerung Heidelbergs rasant anwuchs, wurde er schließlich für Erdbestattungen Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts geschlossen.

Noch aus der Gründungszeit stammt die Friedhofskapelle, während fünfzig Jahre später das Krematorium, nach Gotha das älteste in Deutschland, in Betrieb genommen.

Man muss nicht jeden gehen, jedenfalls nicht alle vier Rundwege auf einmal, denn das Wegenetz zieht sich über immerhin mehr als zwanzig Kilometer.

Die Grabstätten, von kleinen feinen bis hin zu imposanten Mausoleen liegen an verschlungenen Wegen auf Geländeterrassen, eingebettet in eine variantenreiche und üppige Pflanzenwelt aus Bäumen, Sträuchern, und Hecken. Die ganz spezielle Gartenarchitektur folgt bis heute den Entwürfen von Johann Metzger, der gegebene Geländestrukturen des Friedhofs zu erhalten und durch entsprechend gewählte Vegetation ein „natürliches Landschaftsbild“ zu vermitteln zu versuchte. Dies ist ihm gelungen und macht wahrscheinlich den Ort so verzaubert, denn zwischen die Natürlichkeit mischt sich immer wieder ein kleiner Hinweis auf die Vergänglichkeit alles irdischen Seins.

Wie verschiedene Memento Mori, wenn Gelassenheit zwischen Bäumen und das Zwitschern der Vögeln zu sehr zum Träumen anregt und man auf einer der vielen Bänke die Seele baumeln lässt, blitzen die weißen Engelchen, Putten oder verwittertes Gold auf einem bröckelnden Sandgrabstein in die Realität wieder her und erinnern, wo man eigentlich ist.