Herrgotts Kegelspiel
Herrgotts Kegelspiel – Der Hegau
Auf dem Weg nach Kummerland, wo Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, Prinzessin LiSi befreien wollen, müssen die tapferen Lummerländer durch das “Land der tausend Vulkane”. Dort bewohnt jeder Drache seinen eigenen Vulkan, je nach Größe mini oder riesig. Ob Michael Ende den verträumten Hegau vor Augen hatte, ist nicht mehr zu klären, aber genau dort erheben sich kleine Vulkankegel wie ehemalige Behausungen sagenhafter Märchentiere, viel heimeliger als in der Vulkaneifel.
Kaum ein anderes Gebiet ist in Südwestdeutschland durch solch unterschiedliche Landschaftscharaktere geprägt wie der Bodensee, kaum ein anderes so geschichtsträchtig wie das Schwäbische Meer. Und so verschieden sind auch die Bewohner eines Raums, der drei Länder umfasst. Das war natürlich nicht immer so, die – vielleicht – bekanntesten Ureinwohner dieser lieblichen Gegend sind die Steinzeitmenschen von Überlingen, damals, als sich das Schwäbische vom Schwitzerdütsch und Vorarlbergerisch noch nicht so sehr unterschied. Noch älter als die ersten Häuslebauer ist die Gegend im kulturhistorischen Sinn, besonders der Hegau verweist auf eine uralte Biografie. Zum Glück ist er noch nicht von Besuchern überlaufen und hat sich damit sein verzaubertes Ambiente bewahren können.
Geografisch exakt beschrieben liegt er zwischen Bodensee im Osten, Hochrhein im Süden, Donau im Norden und dem Randen als südwestlichem Ausläufer der Schwäbischen Alb im Westen. Entstanden sind die ehemaligen Feuerspeier vor ungefähr 14 Millionen Jahren, in der Mitte des Miozäns, durch Explosionen, da dieses Gebiet am Schnittpunkt zweier Störungssysteme liegt. Was sich bis heute durch kleinere Erdbeben bemerkbar macht. Die Folge waren ein gutes Dutzend Vulkane, durch die sich eine mächtige Tuffschicht bildete und ein paar Millionen Jahre später der Hegauer Basalt. Die Gletscher der Eiszeit vor 150 000 Jahren räumten dann den Tuff ab, der Basalt aber war stärker, und genau das prägte das Aussehen der heutigen Landschaft.
Am Ende der Eiszeit siedelten die Rentierjäger im Wasserburgertal, beim Petersfels sowie im Umfeld der Gnirshöhle. Funde aus der Steinzeithöhle Petersfels bei Bittelbrunn zeigen, dass – vor den Überlinger Jungsteinzeitlern – erste Menschen bereits in der Altsteinzeit im Hegau gewesen sein müssen. Hier vorhandenes “Bohnerz” verleitete in vorchristlicher Zeit die Menschen dazu, bevorzugt in der Hegaualb zu siedeln, die Kelten waren in der Gegend und prägten sie, Grabhügel aus der sogenannten Hallstattzeit (800 – 400 v. Chr.) beweisen dies. Und etliche der heutigen geographischen Namen sind keltischen Ursprungs, Hegau selbst leitet sich von “kewen” Bergbuckel zusammen mit „Gau“, einer sehr alten Bezeichnung für einen Verwaltungsbezirk, entstand aus „hewen“-gau.
Dann kamen wie beinahe über all die Römer. Die Gegend gehörte nunmehr ab 50 v. Chr. für zweihundert Jahre zur römischen Provinz „Raetien“. Danach bestimmten die Alemannen, die Franken, die die Bewohner christianisierten und die Karolinger den Bodensee, in der Folgezeit wechselten je nach Kriegslage die Herrschaften. Nach dreihundertfünfzig Jahren als Teil von Vorderösterreich wurde die Region 1805 Württemberg zugeteilt, 1810 Baden.
Da die Schlote zum Glück heute nicht mehr rauchen, kann man zwischen den Kegeln und auf sie hinauf gut wandern, Rad fahren, skaten oder auch mit dem Auto auf Erkundungstour gehen. Die bekannteste Erhebung der Gegend, der Hohentwiel mit 686 m. gilt als Wahrzeichen der Stadt Singen. Die ehemalige Festung war mit einem Festungsareal von 9,92 ha die größte und wichtigste der zahlreichen Hegauburgen. Sie wurde 1800 auf Anweisung Napoleons geschleift, heute findet hier einmal im Jahr im Juli ein Festival mit Musik und Kunst statt. Mittelalterfreaks finden alles, was ihnen Spaß macht Mitte August beim Singener “Spectaculum”, mit Tournieren, Markt und Heerlager, auch das größte Erntedankfest des Hegaus wird zwei Wochen später in Singen gefeiert.
Eine echte ehemalige Raubritterburg liegt auf dem kleinsten, steilsten und gleichzeitig markantesten Kegel, die Hohenkrähen mit 643 Metern. Wie eine Krone liegt die Festungsruine auf der Spitze und ragt über das Land. Der Mägdeberg, 665 m, eine gut erhaltene Burgruine, hat sogar seine eigene Legende: die englische Königstochter Ursula soll mit tausend Mägden im Zuge einer Wallfahrt an seinem Fuß gelagert haben. Wer von einer Tour de Burg nicht genug bekommen kann, der findet auf dem Hohenstoffel, 844m, gleich drei ehemalige Ritterdomizile. Der Name hat übrigens nichts mit den Bewohnern zu tun, sondern leitet sich vom althochdeutschen “stophil” für “kleiner Fels” ab.
Als Hausberg der schönen Stadt Engen ist der Hohenhewen zu nennen, natürlich nebst Burgruine. Engen ist die Stadt der Brunnen. Sie kann mit aufwändig restaurierten Fachwerkhäusern, verwinkelten Gassen und ihren zeitgenössischen, auffallenden Brunnenfiguren eine bemerkenswerte Altstadt vorweisen, die einen Tagestrip wert ist. Darüber hinaus ist Engen ein idealer Ausgangspunkt für Wanderungen oder für Tagesfahrten zu weiteren Sehenswürdigkeiten. Bei günstigem Wetter schaut man bis in die Alpen. Ende Juli wird die Stadt zur Kulisse des großen Stadtfests, wenn einmal im Jahr “die Gass wackelt”.
Ganz in der Nähe liegt eine weitere Ruine, das “Stettener Schlössle”, bzw. Neuhewen auf 867 Metern. Gemeinsam mit dem Ort Stetten gehörte sie im Mittelalter den Herren der Hohenhewen und sollte zusammen mit der Hewenegg auf 812 m das Gebiet nach Norden hin absichern. Heute befindet sich hier ein Naturschutzgebiet. Außerdem gilt der Berg als Geheimnisträger, birgt der Krater doch in seinem Inneren einen tief scheinenden Gipfelsee.
Natürlich gibt es neben vielen Sagen und Legenden dafür eine Erklärung, die wird aber an dieser Stelle nicht verraten. Außerdem existiert an den südlichen Hängen, im Sedimentbereich eines ehemaligen Kratersees, eine der wichtigsten tertiären Fossilienfundstätten Deutschlands.
Zu diesen wichtigsten Vulkanen, der wirklich jeder eine Burg oder eine Ruine auf dem Gipfel trägt, kommen zahlreiche kleine Kegelchen mit z.T. bezeichnenden Namen wie der “Galgenberg” nördlich von Bohlingen, der “Schwindel” westlich von Mühlhausen oder gar der “Heilsberg” nördlich von Gottmadingen. Sie alle bewogen den Heimatdichter Ludwig Finck zu seinem am Bodensee oft zitierten Bild “des Herrgotts Kegelspiel” für den Hegau. Doch zieren ihn nicht nur die Hügel, der Aachtopf ist beispielweise die größte Karstquelle Deutschlands. Einen Besuch wert sind auch der Eiszeitpark bei Bittelbrunn mit seinen in Europa einmaligen steinzeitlichen Fundorten Peterfels und Gnirshöhle und die Halbinsel Höri zwischen Stein am Rhein und Radolfzell.
Berühmte Bewohner waren Hermann Hesse und Otto Dix. Hesse lebte von 1904 bis 1912 in Gaienhofen in einem alten Bauernhaus, Dix wurde nach seiner Entlassung von der Kunstakademie in Dresden 1933 auf Schloss Randegg beherbergt. Fern ab vom großen Gästerummel und dennoch mitten im Leben bietet der Hegau stressgeplagten Städtern vor allem eines: Natur, Schönheit und Ruhe.
Erschienen im Staatsanzeiger Baden-Württemberg