Rafik Schami im Portrait

Damaskus liegt am Donnersberg – Rafik Schami im Portrait

In diesen modernen und emanzipierten Zeiten ist Schehezerade ein Mann. Ein mit unzähligen Literaturpreisendekorierter noch dazu, denn er kann nicht nur wunderbare Geschichten erzählen, sondern hat es geschafft, orientalische Erzählkunst mit der deutschen Sprache zu verbinden. Ein Gewaltakt? Nein, das wäre schief gegangen. „Man muss die deutsche Sprache, die ja sehr reichhaltig und vielschichtig ist, behandeln wie eine Geliebte: Dann gibt sie ihre Geheimnisse und ihre Schönheit freiwillig preis und eröffnet einem die Möglichkeiten, um die man gerungen hat“.

1971 kam der 1946 in Damaskus geborene Schami nach Deutschland, und zwar gleich ins schöne Heidelberg. „Wegen der Nähe zu Frankreich“, erläutert er seine Wahl. Schriftstellerisch war schon in seiner Heimat tätig, denn er hatte 1965 die Wandzeitung Al-Muntalek gegründet und diese bis 1970 geleitet. Syrien, so erzählt er, „versteht sich als radikale Republik, ist aber eine Diktatur mit modernsten Mitteln“. Seine Kindheit in der syrischen Hauptstadt hat er in einer historischen Minderheit erlebt, denn Schami ist Christ, ein Aramäer. „Man hat Verhaltensweisen, die andere nicht haben. „Man muss Rücksicht auf die Mehrheit nehmen“, erklärt der Dichter, denn die Probleme waren zu seiner Zeit zwar nicht real, aber latent. Den letzten Angriff auf syrische Christen gab es 1936, bei dem auch Familienmitglieder Schamis ums Leben kamen. Dennoch darf man sich seine Zeit in Damaskus nicht als dramatisch und bedroht vorstellen.

Der Sohn eines Bäckers schreibt lieber Gedichte statt dem Vater zu helfen, führt Touristen durch die staubigen Straßen seiner Stadt und freundet sich mit einem alten Kutscher an. Der kann gut Geschichten erzählen und fasziniert den Jungen. Diese Figur des Bäckersohns taucht in Schamis Märchen immer wieder auf und führt den begeisterten Leser mit seiner betörenden Sprachkunst durch die Wunderwelt des Orient. Dabei entstehen seine Figuren aus der Sehnsucht, er erobert die entzogene Heimat auf friedliche Weise. Die politische Gegenwart mit der ständigen Angst vor der Zensur zwingt Schami ins Exil und verändert ihn. „Das Exil macht einen kämpferisch, man kriegt Wut, aber es hat mich auch befreit“, sagt der lebhafte Mann, dessen Charisma man am besten auf einer seiner zahlreichen Lesungen erfahren kann. Inzwischen lebt er länger in Deutschland als in Syrien, ist mit einer deutschen Künstlerin verheiratet und hat einen zehnjährigen Sohn.

Seinen ursprünglichen Beruf, Schami hat Chemie studiert und 1979 promoviert, übt er direkt nicht mehr aus. Aber er ist ein Alchimist und Zauberer. Denn er kann durch die Lektüre seiner Geschichten den Leser vergessen und eintauchen lassen in den Kosmos seiner alten Welt. „Ich denke jeden Morgen an Damaskus“, träumt der Autor, dessen Bücher in arabischen Ländern bisher nur illegal erworben werden konnten. Der in Köln beheimatete arabischsprachige Verlag Al-Kamel wird von diesem Jahr an die Werke von Rafik Schami wird von diesem Jahr an die Werke von Rafik Schami in arabischer Sprache herausbringen. Als erstes Buch erscheint Der geheime Bericht über den Dichter Goethe. Er übersetzt nicht selbst und meint, „ich schreibe nicht auf Arabisch, das würde mich schizophren machen“. Deutsch sei sein Metier und Medium, sagt er dann „ich bin in die Sprache hineingegangen“. Und was ist an ihm in der Zwischenzeit deutsch geworden?

Er könne mehr die Ruhe bewahren, lacht der temperament- und humorvolle Sprachvirtuose, und mittlerweile wäre er pünktlicher an der Bushaltestelle als seine Frau! Orientalisches Erbe ist seine Liebe zur Küche, in der er gerne höchstpersönlich schmackhafte Speisen zuzubereiten versteht. Und die Gastfreundlichkeit. „Der Gast ist heilig“, erklärt der Gastgeber aus Passion. Besucher in seinem Haus bei Kirchheimbolanden werden demnach sicher die Wonnen des Orients erleben dürfen. Doch ist Rafik Schami kein Märchenonkel aus dem Morgenland, sondern ein politischer Mensch, der nicht die Augen schließt vor den Problemen unserer Zeit.

„Die Rückkopplung in Nationalisten bei Ausländern bedeutet die Unfähigkeit, sich ein- und zurecht zu finden“, kritisiert er u.a. das Anbiedern hiesiger Muslime an Islamisten. Seit vielen Jahren engagiert sich Schami für eine Versöhnung und einen bedingungslosen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. So geht er in seiner jüngsten Publikation einen neuen Weg, denn er hat im Herbst 2002 Tagebuchnotizen über den 11. September veröffentlicht. Mit fremden Augen heißt das Buch, das auch den Palästinakonflikt und die Arabische Welt zum Thema hat, wobei Schami ein Kaleidoskop nachdenklicher, humorvoller und ironischer Eindrücke entwirft.

Der Wunsch nach Frieden zwischen Israel und Palästina ist hier der Grundgedanke, auf dem Schami sehr persönliche und poetisch geschriebene Auszüge aus seinem Tagebuch von Oktober 2001 bis Mai 2002 aufbaut. Reflexionen über das Weltgeschehen, Ärger über Vorurteile und Ignoranz deutscher Intellektueller gegenüber der arabischen Kultur, Gedanken über Rassismus unter Semiten sind nur einige der spontanen Überlegungen, mit denen Rafik Schami dem europäischen Leser die Möglichkeit eines umfassenderen Verständnis zur Nahostproblematik gibt. Sein nächstes Buch wird wieder eine Geschichte in seiner Heimatstadt erzählen, eine Lovestory, und so kommt es, dass Damaskus auch am Donnersberg liegt.

Erschienen in der Scala, Kunstportal Ba-Wü